Mit dem Jahreswechsel steht ein Wechsel im Kuratorinnenteam des kunstkasten an. Ein Rückblick auf acht Jahre der Organisation dieser Plattform für zeitgenössische Kunst inspirierte diese Ausstellung. Aus jedem der vergangenen acht Jahre wurde je ein/e KünstlerIn angefragt, ob er/sie mit einer Arbeit an der Dezemberausstellung vertreten sein möchte. Ohne striktere Vorgaben – ausser der Grösse – sind eigenständige Werke* zusammengekommen, die sich an den jeweiligen Themenfeldern der einzelnen KünstlerInnen anlehnen. In der Ausstellung rücken die einzelnen Werke zwangsläufig zusammen. Inhaltliche und formale Verbindungen werden sichtbar.

 In «Scratch No. 1» von Rita Capaul werden Claims und Informationen auf Werbeplakaten durch Scratching ausgelöscht. Dabei entstehen Einblicke in übereinander gekleisterte Plakatschichten. Die auffälligen Farben der Werbesprache tauchen in den freigelegten Schichtungen neu auf. Es verbleiben zart anmutende Spuren. Nina Mischler wirkt mit ihrer Arbeit «Good enough, 2020» wieder einmal auf harte Grenzen zwischen verschiedenen Kunstrichtungen ein. Mischler kam mit ihrer Zeichnung der Aufforderung #tragicgirlsdtiys («tragicgirls draw this in your style») auf Instagram nach und stellt mit dem Digitaldruck auf Forex im kunstkasten Fragen nach dem Copyright. Die Illustration greift aktuelle grafische Retro-Trends auf und drückt einen gewissen Weltschmerz angesichts existentiell künstlerischer Krisen aus. Daneben hängt das Bild einer skurril anmutenden Figur in der Figur in der Figur. «Enfilade II» ist eine Zeichnung mit einzigartigem Rahmen von Jürgen Baumann. Sich öffnende Münder und daraus schauende Gesichter sind ineinander verschachtelt. So wie die räumliche Abfolge, die unter dem architektonischen Begriff Enfilade verstanden wird. Die Augen einer Figur richtet sich direkt auf das Publikum. Sie scheinen zu bitten: «Holt mich hier raus!».

 Mit dem «Lying observer», einer Art Wappenscheibe aus Plexiglas, verfolgt eduard otto baumann seine nach einem strengen Rhythmus angefertigte Bild- und Objektreihe weiter. Er stellt in seinem Text zum Bild Gedanken ums Kontrollieren und Manipulieren an: «Wer überwacht, akzeptiert die Vielfalt nicht.» Silvia Popp würdigt den anstehenden Wechsel mit Palindrom-Collagen. Worte haben Ausstrahlungskraft und lassen Assoziationen aufleben. Je nachdem von welcher Seite man die Arbeit «it takes two to tango» betrachtet, lassen die einzelnen Worte eine zweite Leseart zu. Bedeutungen verweben sich und beginnen vielleicht sogar miteinander zu tanzen. Tanz. Rhythmus. Zeit. Wie oft behaupten wir, dass wir sie nicht haben, die Zeit. Sie ist zu einer der wertvollsten Ressource mutiert. Mia Diener sagt: «Wir leben heute eine Kolonisierung der menschlichen Zeit durch die ökonomische Zeit in jeder Hinsicht – biologisch, sozial, ökologisch. Doch die ökonomische Zeit ist eine leere Zeit.» Mit dem «Time Decoder» versucht Diener die Kreisläufe, welche diese ökonomische Zeit mit sich bringt, zu dekonstruieren und umzuwandeln. Der Decoder soll einen neuen Rhythmus aufzeigen und zum Nachdenken, genaueren Hinsehen und zum Verweilen anregen.

 Yvonne Good beschäftigt sich nicht mit der Wahrnehmung von Zeit, sondern mit der des Raumes. Sie plant den kunstkasten neu und expandiert dadurch den Raum. Der als Container anmutende Kasten ist in seiner Form einfach und schnell erfasst. Good skizziert mit «Projektvorschlag 02» eine mögliche Änderung und spielt dabei mit der Oszillation zwischen räumlich-funktionaler Architektur und der Behauptung von architektonischen Objekten als Kunst. Räumliches, oder vielmehr Zwischenräumliches behandelt auch CKÖ. Neue Regeln der Distanz führten automatisch auch zu einer neuen Choreografie der Massen. Die Arbeit «TRANSFER & FORMATION» geht auf eine Änderung im zwischenmenschlichen Bereich ein. Der Händedruck wurde über die letzten Monate zum Tabu. Das bis kürzlich gesellschaftlich breit akzeptierte, offizielle Ritual der Begrüssung und Verabschiedung findet heute nicht mehr statt. Stellvertretend für den heute fehlenden Händedruck, stellten CKÖ kleine Porzellanfiguren her, kleine Abbilder des Raums, der zwischen zwei Händen entsteht, die sich drücken. Mehrere stellvertretende Händedrucke für all jene, die wir in letzter Zeit verpasst haben.

 Und das ist ein guter Schluss und Übergang. Damit verabschieden sich Karin Wiesendanger und Judith Weidmann von der offiziellen kuratorischen Tätigkeit für den kunstkasten. Die Kunst im öffentlichen Raum und die Möglichkeit, dass KünstlerInnen überhaupt ausstellen können, gewann über die letzte Zeit an Bedeutung. Deshalb freuen sie sich, dass die Geschichte des kunstkasten weitergeht: Ab 2021 wird er vom neuen Kuratorinnenteam, Katharina Lang und Julia Wolf, geführt. Sie werden sich zu gegebener Zeit selber vorstellen.

eduard otto baumann, Jürgen Baumann, Rita Capaul, CKÖ, Mia Diener, Yvonne Good, Nina Mischler, Silvia Popp