Esther Schenas beruflicher Werdegang begann damals in Winterthur. In einer Siebdruckerei. Heute ist der Siebdruck fester Bestandteil in Schenas künstlerischem Schaffen. Ihr Oeuvre zeigt eine Affinität zum Material und ein bewusster und spielerischer Umgang damit. Sie ist sowohl vertraut mit der Perfektion von Einzelwerken und ihrer Authentizität als auch mit der Drucktechnik, die für Reproduktion und Vervielfältigung eingesetzt wird. Als Künstlerin dienen Schena die formalen Gegensätze als inhaltlicher Referenzrahmen. Das Einzigartige und die Vielfalt. Einzelteile einer Serie stehen in Relation zueinander und sind durch die Präsenz des Zuvor und Danach, der Wiederholung, zu einem grösseren Ganzen verbunden. Daraus lassen sich philosophische Fragen zur menschlichen Existenz ableiten. Wo sind die Grenzen der Gestaltbarkeit des eigenen Seins? Wie verortet sich eine einzelne Person in einem grösseren Ganzen? Schena interessiert sich auch deswegen für Gruppenprozesse und Kooperationen und ist selbst immer wieder in solchen Gefügen tätig. Eine Arbeit versteht sie als Forschung im Bereich des Einzelnen und des Vielen.

In der Siebdruckerei bildet ein auf einen Rahmen aufgespanntes Gewebe den Ausgangspunkt zur Druckvorlage. Das Gewebe wird in einem Verfahren, das UV Licht und das zu druckende Motiv involviert, zu einer Schablone entwickelt. Es entstehen gedeckte und ungedeckte Flächen. Beim Druck wird Farbe durch die bloss mit Gewebe durchsetzten Flächen auf den eigentlichen Druckgrund gestrichen. Die Rahmen mit den Geweben – die Siebe – werden nach dem Druckprozess gereinigt, um wieder verwendet zu werden. Durch Rückstände kann auf einem nächsten Druck ein sogenanntes «Geisterbilder» erscheinen. Was für einen normalen Druckauftrag als Fehler gilt und korrigiert werden muss, nutzte Schena als Künstlerin auch schon als Phänomen und Ausgangslage zur weiteren Bearbeitung.

Die Arbeit «noch sichtbar» entsteht vor Ort. Sie entwickelt sich aus der mobilen Siebdruckwerkstatt Schenas und ist als Schaffensprozess angelegt. Die Glasscheiben des kunstkasten werden von innen bedruckt. Durch Überlagerungen kommt es zu Verdichtungen und Aussparungen. Die Scheiben verwandeln sich in Bilder während der Raum dahinter verschwindet. Dieses Spiel mit dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren weist auf weitere Fragen nach dem Sehen selbst hin. Sehen ist sowohl ein physiologischer Vorgang als auch mit soziokulturellen Prozessen und Diskursen verbunden. Wie sieht eine einzelne Person? Und wie eine Gruppe von Personen? Und wie stehen diese Sichten zueinander in Relation? Die Verhandlung über Sichtbares und Unsichtbares ist schliesslich nicht nur eine philosophische. Die Arbeit «noch sichtbar» verweist auf einen vorübergehenden, vergänglichen Zustand. Sie öffnet eine Tür zum Nachdenken über unser Sehvermögen.

 

www.estherschena.ch