In Mirjam Kerns aktuellem Schaffen werden Bewegung eingefangen und verweilend beschrieben. Sei das nun in der Malerei oder in einer Zeichnung. Schwebendes, Schwingendes und Fliessendes wird teils wissenschaftlich anmutend abstrahiert. Teils nimmt es figürlich erzählerische Formen an. Eine Schaukel im Hinterhof einer Krisenregion. Bilder des Schlafes. Atemkarten und Atempartituren. Bei den letzteren handelt es sich um Grafitzeichnungen. Dabei wird das Atmen – eine lebensnotwendige körperliche Funktion – in eine (Auf-)Zeichnung übersetzt. Eine einzelne grössflächige Zeichnung entsteht oft über einen längeren Zeitraum in einzelnen Arbeitsabschnitten. Kerns «Atemwanderungen» können als anstrengende Performances im Atelier verstanden werden, das Ergebnis als Aufzeichnung der körperlichen und mentalen Präsenz während der Herstellung. Zeichnung und Malerei bezeichnet Kern dann auch als Produktion physischer Gegenwärtigkeit.

Kern hält sich beim Zeichnen selbst an ein Konzept, und konzentriert sich auf den jeweiligen einzelnen Strich und den einzelnen Atemzug, welcher den Strich dirigiert. Sie unterscheidet Atempartituren von Atemkarten. Atempartituren folgen dem Rhythmus des Ein- und Ausatmens. Atemkarten sind eher unkontrollierte Aufzeichnungen, welche von der Atmung zwar beeinflusst, aber mit geschlossenen Augen geführt werden. Einzelne Striche mäandern übers Papier. Teils sammeln und überlagern sie sich zu einem dichten Gewebe. Die Überlagerungen schaffen Tiefen. Die Atemkarten sind als Annäherung an den Zustand des Schlafes zu lesen. Dabei sprechen die Bilder nicht vom Powernapping, jenem kleinen Schlafintervall, der uns während eines Arbeitstages wieder zu neuer Effizienz im Hamsterrad verhelfen soll. Die Poetik Kerns ist beeinflusst von Gedanken rund um «die Frische der Ewigkeit», jenes endlosen Raumes, während die Bewusstheit der Gegenwärtigkeit rund um den eigenen atmenden Körper gerade Endlichkeit schreibt. Jedes Papier hat ein Format und damit seine eigenen Grenzen. Innerhalb dieser kann sich der Blick der/des Betrachters/in aber durchaus in der Dichte und Tiefe der sich überlagernden Ebenen verlieren. Oder am einzelnen Strich folgen und bewusst den einen Atemzug in diesem einen Moment geniessen.

Mirjam Kern

Geboren und aufgewachsen in Bülach

1989-94 Studium an der Hochschule für Kunst und Gestaltung Luzern, Vorkurs und Fachklasse für Zeichnen- und WerklehrerInnen, Diplom

seit 1992: Unterrichtstätigkeit an der Kantonsschule Wiedikon, Zürich

seit 1995: Regelmässige Ausstellungstätigkeit

2015-17: Weiterbildung CAS Arts & Design in Practice, ZHdK

 

www.mirjamkern.ch